Magische Quadrate -
Geschichte und mathematische Eigenschaften

Ein magisches Quadrat ist eine wiederholungsfreie Anordnung positiver ganzer Zahlen von 1 bis n², bei der jede Reihe, Spalte, sowie die beiden Diagonalen diesselbe Summe bilden. Die Zahl n nennt man Ordnung, Basis, Modul oder Wurzel des Quadrats.

Die kleinste Möglichkeit ist ein Quadrat aus neun Kästchen mit den Zahlen Eins bis Neun, die so aufgeteilt sind, dass jede Reihe, Spalte und Diagonale die Summe 15 ergibt. Die Chinesen, die es Lo Shu nannten, haben zuerst seine faszinierenden Eigenschaften entdeckt. Eine Legende berichtet, diese Figur sei den Menschen zum ersten Mal auf dem Panzer einer Schildkröte begegnet, die viele Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung aus dem Flusse Lo gekrochen kam. Historisch ist Lo Shu   nicht früher als im 4. Jahrhundert v.Chr. entdeckt worden. Die Chinesen gaben den mathematischen Eigenschaften des magischen Quadrats eine mystische Bedeutung und hielten es für ein Symbol, das die Urelemente der Dinge, des Menschen und des Universums vereinte. Gerade Zahlen repräsentieren das weibliche Prinzip Yin, ungerade das männliche Yang. In der Mitte der Reihen, Spalten und Diagonalen liegt die Fünf, die die Erde symbolisiert. Um sie herum verteilen sich die vier Urelemente: das Metall, dargestellt durch die Vier und Neun, das Feuer, repräsentiert von Zwei und Sieben, das Wasser mit Eins und Sechs sowie das Holz mit Drei und Acht. Wie man leicht erkennen kann, sind in jedem Element die beiden gegensätzlichen Prinzipien Yin und Yang vertreten.

Die Renaissance bescherte dem Europa des 15. und 16.Jahrhunderts eine kulturelle und künstlerische Erneuerung, die alle Zweige des Wissens berührte. Auch Mathematik und Geometrie erfuhren einen glücklichen Aufschwung und wurden zum fruchtbaren Bezugspunkt für die bildenden Künste und die Architektur. Einer, der die vielfältigen Tendenzen in seiner Person zur Synthese brachte, war der Wissenschaftler, Schriftsteller, Gelehrte, Ingenieur, Mathematiker und Künstler Leonardo da Vinci (1452-1519). Für ihn waren Mathematik und Geometrie aufs Innigste verknüpft mit den anderen künstlerischen und kulturellen Äußerungen des Menschen. In seiner - leider verlorengegangenen -Abhandlung über die Malerei De pictura mahnt er den Leser schon in der Einleitung: "Mich lese niemand, der kein Mathematiker ist." Lange vor Leonardo hatte schon der antike Philosoph Platon (428-348 v.Chr.) diesen Zusammenhang erkannt und eine entsprechende Warnung sogar über dem Eingang seine Philosophenschule anbringen lassen: "Niemand soll eintreten, der die Geometrie nicht beherrscht!"

Die enge Verbindung von Mathematik, Geometrie und Kunst prägt auch das Werk des aus Nürnberg stammenden Malers Albrecht Dürer, eines Zeitgenossen von Leonardo. In seinem berühmten Kupferstich Melancholie  hat er an markanter Stelle ein magisches Quadrat verewigt, das übrigens viele für das erste Beispiel eines solchen Quadrats im Abendland halten. Es ist so konstruiert, dass jede Reihe, Spalte oder Diagonale die Summe 34 ergibt. Selbst die vier Kästchen in der Mitte summieren sich zu 34 und die vier äußeren ebenfalls. Darüber hinaus enthalten die beiden mittleren Kästchen der untersten Reihe die Jahreszahl der mutmaßlichen Enstehung des Werkes: 1514! Neben der engen Beziehung zwischen Mathematik und bildender Kunst hatte Dürer vielleicht noch ein anderes Motiv, dieses Quadrat in eine Darstellung mit dem Thema "Melancholie" einzufügen. Den magischen Quadraten vierter Ordnung wurde damals eine besondere therapeutische Wirkung zugeschrieben, und Astrologen hielten sie für ein nützliches Amulett gegen die Melancholie.

Wenn man bei einem Quadrat dritter Ordnung Rotation und Spiegelung ausschließt, gibt es nur eine einzige Lösung. Bei Quadraten höherer Ordnung wächst auch die Zahl möglicher Anordnungen. Unter Ausschluss von Rotation und Spiegelung lassen sich die 16 Zahlen eines Quadrats vierter Ordnung bereits auf stattliche 880 Weisen anordnen, wie als erster der Mathematiker Bernard Frénicle de Bessy im Jahre 1693 entdeckte.

Es konnte bisher noch nicht geklärt werden, nach welchen mathematischen Gesetzen sich die Zahlen der magischen Quadrate verteilen. Die Lösungen entstanden immer durch Versuch und Irrtum. Wie viele magische Quadrate fünfter Ordnung gibt es? Lange Zeit schätzte man die Zahl auf 13.000.000, doch erst 1973 konnte der Amerikaner Richard Schroeppel (ein Programmierer) mit dem exakten Ergebnis aufwarten. Ohne Rotation und Spiegelung gibt es für das Quadrat fünfter Ordnung genau 275.305.224 Lösungen.

Im Mittelalter gaben die Mohammedaner magischen Quadraten der fünften Ordnung mit der Zahl 1 im Zentrum eine besondere mystische Bedeutung. Denn die Zahl 1 repräsentierte Allah, das einzigartige und höchste Wesen. Das Problem des Begriffs und der Darstellung Gottes erscheint in allen Religionen und Theologien. Die Zahl 1 scheint die Einheit des Seins symbolisch am reinsten auszudrücken. Um die Unaussprechlichkeit des höchsten Wesens anzudeuten, zog man es darum oft vor, das für die 1 bestimmte Zentralfeld des magischen Quadrats leer zu lassen.

[Wolf Zimmer]


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